GerArt

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Chaos, Zufall und ich

Chaosismus – Die Kunst des geplanten Zufalls

Einleitung

Die Welt befindet sich in einem ständigen Zustand der Veränderung – ein Wechselspiel aus Struktur und Auflösung, Ordnung und Chaos. Doch es gibt Zeiten, in denen dieser Wandel nicht mehr als sanfte Evolution erscheint, sondern als ein Strudel der Unvorhersehbarkeit, der vertraute Sicherheiten hinwegfegt. In diesen Momenten offenbart sich das Chaos nicht nur als äußere Realität, sondern auch als inneres Gefühl der Zerrissenheit, der Orientierungslosigkeit und der Suche nach einem neuen Halt.
Der Chaosismus ist eine künstlerische Antwort auf diese Dynamik. Er versteht Chaos nicht als bloße Unordnung, sondern als gestaltende Kraft. Das Konzept des „geplanten Zufalls“ verbindet gezieltes künstlerisches Handwerk mit unkontrollierbaren Elementen. Es geht nicht darum, willkürliches Durcheinander zu erzeugen, sondern darum, bewusst mit der Unvorhersehbarkeit zu arbeiten. Chaos als Spiegel unserer Zeit, als Ausdruck unserer inneren Zerrissenheit, aber auch als Ursprung für etwas Neues.

Chaos als Spiegel unserer Zeit

Die Unsicherheiten unserer Gegenwart hinterlassen Spuren – individuell und kollektiv. In einer Welt, die sich immer schneller verändert, wird Orientierung schwieriger. Viele Menschen fühlen sich getrieben, überfordert, suchen nach Halt. Der Chaosismus greift diesen Zustand auf und übersetzt ihn in eine visuelle Sprache.
Doch Chaos ist nicht nur Ausdruck von Auflösung – es kann auch als Möglichkeit verstanden werden. In der Kunst des Chaosismus wird die Unordnung nicht als Bedrohung gesehen, sondern als Potenzial für Neues. Die künstlerische Auseinandersetzung mit Chaosismus geht über rein ästhetische Fragen hinaus – sie stellt eine tiefere Reflexion über Dynamiken in Gesellschaft, Wissenschaft und Wahrnehmung dar.

Chaosismus als eigenständiges Konzept innerhalb der ChaosArt

Die ChaosArt betrachtet Chaos als kreatives Prinzip und nutzt es in vielfältigen künstlerischen Ausdrucksformen. Innerhalb dieser Bewegung nimmt der Chaosismus eine spezifische Rolle ein: Er ist eine gezielte Stilrichtung, die Chaos nicht als zufälliges Ergebnis, sondern als bewusste künstlerische Methode einsetzt.
Während die ChaosArt in vielen Fällen das Unkontrollierbare feiert, schafft der Chaosismus ein Gleichgewicht zwischen Struktur und Auflösung. Er nutzt wissenschaftliche Erkenntnisse – insbesondere aus der Chaostheorie –, um Chaos als gestaltende Kraft zu lenken. Kunst wird nicht nur als spontane Äußerung gesehen, sondern als dynamisches System, in dem Chaos und Ordnung sich gegenseitig bedingen.
Durch gezielte Dekonstruktion entstehen Werke, die den Betrachter auffordern, selbst eine Ordnung im scheinbaren Chaos zu finden. Die bewusste Integration des Zufalls schafft eine Interaktion zwischen Künstler, Werk und Betrachter. Kunst wird nicht als fertiges Produkt verstanden, sondern als Prozess, der sich stetig verändert und neue Bedeutungen zulässt.

Von der Wissenschaft zur Kunst – Die Wurzeln des Chaosismus

Mein Weg zur Kunst begann nicht klassisch. Als Mikrobiologe habe ich mich viele Jahre mit Naturgesetzen beschäftigt – mit Thermodynamik, Entropie und der Chaostheorie. Diese Prinzipien zeigen, dass alles Leben durch eine Balance von Ordnung und Chaos geprägt ist.
Nach über 20 Jahren beruflicher Erfahrung in Wissenschaft und Management, wo ich mich intensiv mit komplexen Prozessen, Strukturen und deren Dynamiken auseinandersetzte, habe ich 2019 eine berufliche Neuausrichtung gewagt. Meine Arbeit in diesen Bereichen zeigte mir, wie empfindlich Gleichgewichte sein können und wie Chaos oft ein Treiber für unerwartete Entwicklungen ist. Die Chaostheorie hat sich mittlerweile als wissenschaftliches Paradigma etabliert und beeinflusst zahlreiche Disziplinen – von den Naturwissenschaften über die Wirtschaft bis hin zur Gesellschaftstheorie. Vielleicht sind es genau diese Erkenntnisse, die sich in den zunehmend chaotischen, dynamisch übersteigerten Zuständen und Entwicklungen unserer Zeit widerspiegeln. 2022 begann ich intensiv mit der Malerei und erkannte schnell Parallelen zwischen wissenschaftlichen Prozessen und künstlerischem Schaffen. Daraus entwickelte sich der Chaosismus – ein Stil, der sich mit der Dynamik des Zufalls und der Veränderung auseinandersetzt.

Chaos als künstlerischer Impuls

Der Chaosismus ist kein starres Konzept – er ist offen, wandelbar und entwickelt sich weiter. Jedes Werk entsteht im Spannungsfeld zwischen Planung und Überraschung. Um diesem Spannungsfeld gerecht zu werden, habe ich die Couleurage als Technik entwickelt und immer häufiger eingesetzt.

Couleurage – Farbe in Bewegung

Couleurage ist eine von mir entwickelte Technik zur farblichen Übertragung und Strukturprägung auf Leinwand. Sie verbindet Elemente des Drucktransfers, der Malerei und der Materialmanipulation zu einem eigenen bildnerischen Prozess, bei dem nicht das Motiv, sondern die Farbe selbst – ihre Bewegung, ihre Spur, ihre Transformation – im Zentrum steht. Zum Einsatz kommen Ausdrucke, bei denen die Farbschicht auf der Oberfläche liegt – wie etwa Laserdrucke, Thermotransfer-, UV- oder pigmentierte Tintenstrahldrucke auf beschichtetem Papier. Diese Drucke geben ihre Farbpigmente unter bestimmten Bedingungen ab und eignen sich daher als Trägermaterial.

Der Übertrag erfolgt durch eine eigens entwickelte Emulsion, die mittlerweile auch mit Farbpigmenten angereichert wird. Die Emulsion wirkt dabei nicht nur als Lösemittel, sondern wird selbst zum malerischen Medium: Sie bringt Farbe in das Werk ein, noch bevor das Papier aufliegt. Das Papier wird anschließend auf die nasse Emulsionsschicht aufgelegt und übernimmt dabei eine aktive Rolle: Es verformt sich gezielt oder spontan, faltet sich, bewegt sich – beeinflusst durch die Feuchtigkeit, die Menge der Emulsion und die Pigmentverteilung darunter. Die entstehenden Falten und Spannungen leiten die Farbbewegung, brechen sie, verdichten sie, lösen sie auf.

Die Richtung der Faltenbildung – horizontal, vertikal oder diagonal – wird bewusst gesteuert und erzeugt komplexe Strukturen, die zwischen Zufall und Kontrolle oszillieren. So entsteht eine dichte Textur aus Abdruck, Farbe, Linie und Raum.

Das Ablösen – der delikateste Moment

Das Ablösen des Trägermaterials bildet den sensibelsten Moment im Couleurage-Prozess – nicht nur technisch, sondern auch konzeptuell. Denn genau hier verdichtet sich das Prinzip des Chaos als künstlerischer Partner. Es ist ein kontrolliertes Zulassen, ein gelenktes Ungleichgewicht, das sich durch vorsichtige, fast meditative Handlungen entfaltet.

Der Vorgang beginnt mit dem Einsatz von Wasser und papierlösenden Substanzen – sowohl flächig als auch gezielt dosiert. Die Fasern des Papiers sollen sich lösen, aber nicht gänzlich verschwinden. In einem Prozess wiederholten Reibens – mal mechanisch, mal manuell – werden die Papierschichten schrittweise abgetragen, bis die Farbpigmente sichtbar und greifbar werden. Zu viel Eingriff zerstört, zu wenig lässt das Werk unentschlossen. In dieser Spannung bewegt sich die Couleurage-Technik – ein ständiges Ausloten zwischen Zerstörung und Enthüllung.

Der Zufall zeigt sich in verlaufenen Farben, unvorhersehbaren Strukturen und geisterhaften Resten. Doch er wird nicht sich selbst überlassen: Mit emulsionslösenden Chemikalien kann in diesen Prozess eingegriffen, können Spuren gelenkt, Farbflächen moduliert werden. Es entsteht ein bewusst provoziertes Ungleichgewicht, ein kontrollierter Kontrollverlust.

Couleurage versteht den Zufall nicht als Feind der Form, sondern als ihren Ursprung – eine Haltung, die das Unvorhersehbare als schöpferische Kraft integriert.